Familienurkunden

Von der Wiege bis zur Bahre: Formulare, Formulare.
Am Anfang war das Wort? Ach was! Am Anfang war die Bescheinigung!

 

     

Mitten im ersten Weltkrieg: eine Hochzeit. Das Leben "in der Etappe" musste und wollte weitergehen.

Natürlich ließe sich süffisant fragen, ob die damaligen Beamten denn, lebten sie heute, mit Computern zurechtkommen würden. Aber eins jedenfalls "hatten sie drauf", im Gegensatz zur heutigen Generation: sie konnten schreiben.

Die Schlüsseltugend zur Kultur, so wird die Fähigkeit zum korrekten Schreiben zuweilen genannt, war nicht nur preußische Pflicht, sondern das Privileg, mit dem sich zur damaligen Zeit - vor rund hundert Jahren - noch die Stände unterschieden.

 

Nr. 98
der Heirats-Urkunde
Heirats-Bescheinigung.
Zwischen dem Schlosser Robert Hartig
katholischer Religion
geboren am 25. 2. 1889 zu Krautzau, Bez. Reichenberg
Sohn von Werkmeister Fridolin Hartig und Anna geborene Wörfel
und der
Anna Mohr ohne Beruf,
katholischer Religion
geboren am 16. 3. 1895 zu Ohligs
Tochter von dem verstorbenen Messerschleifer Karl Mohr und Anna Antonietta geborener Dieser
ist zu Solingen am 20. Mai 1916
die bürgerliche Eheschließung vollzogen worden.

Der Standesbeamte:
Krauß

Anmerkung: Das Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 bestimmt in § 82: Die kirchlichen Verpflichtungen in Beziehung auf Taufe und Trauung werden durch dies Gesetz nicht berührt.

Familienstammbuch
ausgestellt von der Stadt Ohligs, die zu diesem Zeitpunkt, Juli 1907 (siehe unten) noch selbständige Stadt war.

Imprimatur: Gedruckt bei
Wilh. Müller jr. Ohligs
(eben meiner späteren Lehrbude)

Diese beiden Seiten, einmal die formale Urkunde mit ihrer schwungvollen Handschrift und das gedruckte Vorwort mit seinen köstlichen Verzierungen ganz im Geiste des damaligen Jugendstils, strahlen - über jegliche nostalgische Emotion hinaus - Würde aus. Solch eine Mühe mit banalen Drucksachen oder Bescheinigungen macht sich heute kein Mensch mehr, obwohl, alte Setzerregel, eine Sache schlecht zu machen den gleichen Aufwand bedeutet, wie sie gut zu machen. Der Unterschied findet im Kopf statt: ob man mit der Liebe zum Detail anderen Menschen und dem Wort gegenüber Achtung ausdrücken möchte.

 

Von wegen Computer. Da wurde noch alles mit der Hand verwaltet und Arbeitsplätze gab es schon alleine deswegen in Hülle und Fülle.

Das Ganze im Jahr 56, 27 Jahre vor der Einführung der PCs und 20 Jahre vor der sog. Mittleren Datentechnik.

 

Auch unmittelbar nach dem II. Weltkrieg waren Schönschreiber auf den Standesämtern gefragt.

während für die eigentliche Geburt 1 Hebamme ausreichte, musste die dazugehörige Urkunde bereits 3 Stempel haben.