Druckerei 1900

Weil die Stahlwarenindustrie vor allem Verpackungen und "Reklame" brauchte, haben sich in Solingen parallel zu deren Boom verhältnismäßig viele Druckereien ansiedeln und lange halten können. An die 50 substanziell größere Betriebe des grafischen Gewerbes zählte man hier einst. Sie haben vor über 100 Jahren im Inneren ähnlich ausgesehen wie die Druckerei des Bibliographischen Instituts in Leipzig, wenn sie auch dessen Größe niemals erreicht haben. Doch die Technik war identisch.

 

 

 

 

Bilder in der logischen Reihenfolge des Arbeitsablaufs, heute würde man sagen, des Workflows.

Das Bibliographische Institut wurde 1826 in Gotha gegründet, zog alsbald nach Hildburghausen und residiert seit 1874 in Leipzig. Das Gebäude umfasste ein Areal von 6.600 qm und war eine autonome Druckfabrik. Vom Schriftguss bis zur Spedition. Inklusive eigenem Kraftwerk sowie Werkstätten. Je 10 km Dampf-, Wasser- und Gasleitungen sowie Stromkabel versorgten das vierstöckige Haus. In der Buchdruckerei (Buchdruck steht hier für Hochdruck) wurde jährlich 80 Mio Drucke gefertigt, im Steindruck (Vorläufer des Offsets) über 15 Mio, die Buchbinderei fertigte jährlich ca. 400.000 Bücher und ca. 2,5 Mio Broschüren; Knapp 600 Menschen waren hier beschäftigt.

 

aus: Meyers Konv.-Lexikon, 5. Auflage

 

 

In diesem wahrhaft beeindruckenden, schlossähnlichen Gebäude waren im Keller, Parterre und der ersten Etage die technischen Abteilungen untergebracht. Zunächst wanderten die Manuskript aus dem Verlag in die Handstzereien. Dutzende von Handsetzern setzen alles, wie es der Name des Berufs sagte, von Hand. Jeden einzelnen Buchstaben. Maschinensatz ist noch nicht zu sehen. Links im bild die Korrekturstube, das Heiligtum der Abteilung. Die Korrektoren waren gestrenge, gefürchtete Herren, die stets eine helle Freud daran hatten, den Setzern jeden noch so kleinsten Fehler vorwurfsvoll vorzuhalten. Zu beachten ist der Spucknapf vorne links, das war damals so üblich. Vorne rechts eine Korrekturpresse (Abzüge des Handsatzes für die Korrektoren). In der Bildmitte vorne ein Metteur, Setzer, die an den Schiffen (Bleche mit Rand) standen und den Satz umbrachen, d. h. die Seiten druckrichtig aufbereiteten. Links und mittig sind Stehsatzregale zu erkennen. Die Einrichtung war absolut typisch und hat sich bis in die 1960er Jahre in den meisten Druckerein nicht verändert.

 

 

 

 

Oben die Zeichnung, hier die Regale und eine Korrekturpresse in natura.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Art bezeichnete man als Kniehebelpresse.

 

 

Die Schriften für den Handsatz wurden in der eigenen Schriftgießerei gegossen. Die Buchstaben bestanden aus einer Metalllegierung, Antimon, Zinn, Blei und anderes in einer jeweils "geheimen" Zusammensetzung, weil diese die Härte und Druckeigenschaften beeinflusst.

 

In der Kartographie wurden derweil die Zeichnungen und Tableaus für die meist naturwissenschaftlichen und dokumentarischen Werke des Verlages angefertigt. Auch hier: pure Handarbeit, man brauchte Licht für die kleinen und kleinsten Schriften, die von Hand gezeichnet wurden und die Karten mit den genauen Details. Überall sieht man lithographische Steine (Solnhofer Kalkplatten), auf die die gezeichneten Werke übertragen wurden.

 

In der Chromalithographie (Farbbildbearbeitung) wurden die Vorlagen auf Steine übertragen bzw. in den Farben korrigiert. Mühsame Feinarbeit, die extrem viel Erfahrung brauchte und ganz offensichtlich überwiegend von Frauen ausgeführt wurde. Aufträge und Unterlagen wurden von Boten von Abteilung zu Abteilung gebracht.

 

Von den fertigen Druckseiten werden so genannte Matern aus einem harten Papierbrei angefertigt. Dies sind dann Hohlformen, die mit Blei ausgegossen werden, diese Bleiplatten, entweder eben oder rund, sind die "Druckstöcke" für den Druck der Bücher und anderen Drucksachen. Selbstverständlich kann man auch direkt vom Handsatz drucken, doch dann nutzen die Schriften ab und müssen erneuert werden. Durch das Anfertigen der Matern/Galvanos (Druckplatten) wurde dies verhindert, für höhere Auflagen konnte man eine zweite, dritte usw. Druckplatte kostengünstig fertigen.

 

 

Im Hintergrund und der Mitte sind die Gießöfen zu sehen, in denen die Bleilegierung erhitzt und in die Matern gegossen wurden. Danach wurden diese Druckplatten entgratet und ggf. punktuell nachgearbeitet.

 

 

Eine Buchdruck-Rotation (Buch-Druck als feststehende Fachvokabel steht hier immer für Hochdruck, unabhängig davon, ob Bücher, Zeitschriften, Werbedrucksachen usw. gedruckt werden; es ist der Druck von den erhabenen Stellen einer Druckform). Eine Maschine der Maschinenfabrik Augsburg, den ersten Erbauern solcher rotativ druckendenden Maschinen; Vorläufer der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg, MAN. Rotationsmaschinen sind heute noch eine wesentliche Substanz von MAN, die vor allem im Zeitungsbereich weltweit an führender Position sind und mit dem Aufkauf von der aus Faber&Schleicher sowie Roland fusionierten Offsetdruckmaschinenfabrik in Offenbach zu MAN-Roland umfunktioniert sind (Sitz immer noch Augsburg).

Deutlich sind die gewölbten bleiernen Druckplatten (Stereos) auf dem oberen Zylinder zu sehen.

 

 

 

 

 

 

 

Im Druckmaschinenbau ist Deutschland auch heute noch Weltmeister. Denn Druckmaschinen gehören zu den faszinierendsten Maschinen, die es gibt. Einerseits Feinmechanik bis ins Detail und raffiniertester, bester Maschinenbau. Andererseits müssen sie robust sein für hohe Geschwindigkeiten und absolute Störungsfreiheit sowie präzise Qualität über Jahre, sogar Jahrzehnte. Dass die Maschinen heute mit Elektronik vollgestopft sind, steht nicht im Gegensatz dazu, dass sie immer noch von höchster mechanischer Qualität sind und dem Prinzip nach auch diesen Ahnen-Modellen noch sehr gleichen. Oben der Falzapparat einer Rotation, rechts die Steuerung von Druck- und Farbwerken der einzelnen Drucktürme.

 

 
 

 

Eine stupide, weil gleichförmige, dennoch hochkonzentrative Arbeit: das Anlegen der Druckbogen auf dem Druckzylinder der sog. Schnellpressen. Der Bogen wurde mit einer Klammer gehalten, das Fundament mit der flachen Druckplatte oder der Handsatzform wurde unter einem synchron rotierenden Zylinder durchgeführt, und so im Hochdruckverfahren von den erhabenen, eingefärbten Stellen der Abdruck zu Papier gebracht. Der Bogen fiel dann in die sog. Ablage, wurde dort gesammelt.

 

 

 

 

 

Ein ähnliches Bild in der Steindruckerei. Steindruck ist der Vorläufer des Offsets, des heute üblichen Flachdruckverfahrens. Die zu druckende Form wird mittels einer ölhaltigen Schicht dauerhaft auf einen Stein (Kalkplatten aus den Steinbrüchen von Solnhofen im fränkischen Altmühltal) aufgebracht. Dann werden die Steine angefeuchtet und anschließend mit der Druckfarbe überstrichen. Nur auf den präparierten Stellen hält die Farbe, die feuchte glatte Kalkoberfläche weist sie ab. Papierbogen drauf, andrücken, fertig ist der Druck. Links und vorne sieht man die schweren Steine in den Regalen, rechts und mittig die Maschinen, links Andruckpressen (Probeabzüge). Und nicht zu vergessen: die standesgemäßen Spucknäpfe.

 

 

Zeichnungen wurden teils noch in Kupfer gestochen (wie im Mittelalter Albrecht Dürer als Kupferstecher) und dann auf solchen Presse gedruckt; als Einzelbogen, die dann in das Buch eingebunden oder eingeklebt wurden.

 

 

IM Satiniersaal liefen die bedruckten Bogen durch ein zylindrisches Kalandersystem, welches die Bogen glättete und die Oberfläche des Papieres glänzender machte.

 

 

 

 

 

Auch in der sog. Bücherstube (unten) wurden die Bogen (vor allem Buchdruck) noch einmal gepresst, bevor sie in die Buchbinderei zur Verarbeitung kamen.

 

 

 

Falzmaschinen, Schneidemaschinen, Buchpressen – vor allem aber jede Menge Handarbeit beim Fertigen der Bücher: Zusammentragen, fadenheften, Buchblock machen, Decken (Umschlagdeckel) machen, Buchblock einhängen, Kaptalband anbringen und andere Arbeiten mehr, die zu einem guten, soliden Buch gehör(t)en, erforderten viele flinke Hände und erfahrene Fachleute, die nicht müde wurden, auch große Auflagen zu fertigen. Buchbinderei bedeutet aber auch immer zugleich schwere körperliche Arbeit, denn bekanntlich ist Papier schwer.

 

 

 

Bei so viel Maschinen und vor allem so viel speziellen, komplexen Maschinen musste man eigene, erfahrene Handwerker im Haus haben. Monteure von den Lieferfirmen konnte man nicht per Handy unterwegs im Auto erreichen ;-)

Solche Werkstätten in Druckereien gibt es noch heute, weil Hilfe immer sofort zur Stelle sein muss.

 

 

 

 

Die Energie für die Maschinen wurde im hauseigenen Kraftwerk erzeugt; Transmissionsriemen übertrugen Antriebsenergie in die Werkstätten und Säle.