Politische Plakate

Die in Städten natürliche Plattform der öffentlichen Publikation war "die Straße". Plakate spielten spätestens seit der Erfindung der Litfaßsäule (siehe Fuß dieser Seite) eine eminent wichtige Rolle: sie waren "die Zeitung der Kleinen Leute". Ob Agitation oder Propaganda, Reklame oder Parolen, Nachrichten oder Einladungen: die Plakatiererei in der Stadt leistete das, was heute Fernsehen, Radio und Zeitungen übernommen haben. Politische Plakate, vor allem in Wahlkampfzeiten, werden allenfalls als Verhöhnung und Lüge verstanden. Dabei sagen sie kaum anderes als vor Jahrzehnten aus.

 

Mit Fleiß und Sachverstand hat der Autor Ralf Stremmel hier an Hand von politischen Plakaten ungemein interessante Details der Sozialgeschichte Solingens dieser ereignisreichen Epoche zusammengetragen. Ein hervorragendes Werk, das leider - öffentliche Armut ist auch eine Schande - durch hundsmiserable Reproduktionsqualität (Mikrofilmzentrale der Stadt Solingen) entwertet wird. Dies haben der Autor und sein Werk nicht verdient und da hat jemand am total falschen Ende gespart. Denn die Druckerei hat, obwohl vermutlich der Lohn dafür nicht üppig war, sehr saubere Arbeit geleistet und hätte, wäre die Arbeit ihr übertragen worden, mehr daraus gemacht.

 

Selbstverlag Stadtarchiv Solingen
ISBN 3-928956-00-0
alle Abbildungen Stadtarchiv Solingen
Titelbild: Edeltraut Welling
Druck: Uelhoff, Solingen
1992

Plakate der Frühzeit waren Texte, erst später kam (technisch machbar) das Bild hinzu.

Nationalliberales Flugbaltt für Adolf Kaulen, Reichtagswahl 1903

 

Fragen, wie sie auch heute noch gestellt werden: "Welchen Parteien liegt überhaupt das Wohl des Volkes am Herzen?" Und über die Freunde des Mittelstandes rätseln wir auch heute noch, 100 Jahre danach.

Auch dieses Flugbaltt wendet sich mit viel Text an die Leser.

Flugblatt für Georg Schumacher, SPD, Reichstagswahl 1898

 

 

Dieses Plakat gleicht eher einer Urkunde. Interessant: es fehlt vollständig die Uhrzeitangabe. Weiß man, wann es losgeht? Und auch keine Adresse, Lokal Baumann in Weeg kennt man einfach. Heute fast schon grotesk klingend bzw. anmutend die Titel oder Interpreten:

Sozialistenmarsch oder Immer Vorwärts.

Gruss an den Mai von Voigt. (Arbeiter Gesang-Verein Freie Liederhalle, Solingen)

O frage nicht, von Birkendahl. (Sängerbund Schlicken)

Mailied von Gram. (Arbeiter Gesang-Verein Aufgewacht, Solingen)

Das Volk wie es weint und lacht. Overtüre von Conradi (Sol. M.-Verein)

Das Arbeiter-Maibild in 4 Scenen von Stern.
Hieraus Lebendes Bild der Verbrüderung (Arb. Theater-Verein Freude).

Grüsse an die Heimath.

Musikalische Täuschung. (Solinger Musik-Verein)

Immer oder Nimmer, Concertwalzer von Waltteufel. (Solinger M.-Verein)

Es sprach Reichstagsabgeordneter Georg Schumacher.

 

Erinnerungsabend an schwere Zeiten. Auch hier wieder: Lebende Bilder mit Musik. Mit anderen Worten: Multimedia.

Das Programm endet mit Zapfenstreich und Gebet. Und garantiert mit "Hurrraaahhh"-Rufen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Druck: Fr. Knoche & Hartkopf, Wald

 

Heile Welt 1961

 

 

Starker Tobak: 1952 wird "den Linken" in Solingen eine Willkürherrschaft unterstellt. Man hatte in späteren Jahren nicht den Eindruck, die CDU hätte auch selbst von Willkür weit Abstand genommen. Immerhin hat Otto Voos als Bürgermeister lange Zeit regiert und war beliebt.

Pikant-ironisch, obwohl sicher nicht gewollt ist der Doppelsinn der Headline, die das Wort "Brecht" so umbricht, dass man auch sinngemäß verstehen könnte, der bekannte Dichter solle den Schlüssel bekommen. Es ist ein Imperativ: (Gebt) Brecht den roten Rathausschlüssel !

 

 

 

Die damalige erste Riege der Sozialdemokraten in dieser Stadt, direkt nach dem Zweiten Weltkrieg; ihre Namen sind in der SPD leider fast schon vergessen, nur die "Alten" erinnern sich noch.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Druck: Schreiber & Fey

 

 

Bekenntnis zu Berlin und Übernahme von Verantwortung für andere; auch heutige Spendenaktionen stehen in dieser Tradition.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Druck: B. Boll, Solingen

 

 

Sieht irgendwie aus wie ein Plakat für Olympia.

Der Baupfennig bezeichnet als Begriff ursprünglich eine Abgabe für das Bebauen eines gepachteten Ackers, also die Ackerpacht. Hier aber natürlich sind Gelder gemeint, die für das Bauen neuer Häuser und Wohnungen verwendet werden sollen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Allerdings erinnert sich niemand mehr daran, wie oder wofür der Baupfennig gezahlt wurde. Oder doch? Mail erwünscht.

Die Litfaßsäule

Vor über 150 Jahren, am 5. Dezember 1854, schloss Ernst Theodor Amandus Litfaß mit dem Polizeipräsidenten von Berlin einen Vertrag. Dieser erlaubte ihm die Aufstellung von 150 "Annoncier-Säulen" an Straßenecken und auf Plätzen.

Eigentlich wollte Litfaß nur die ihn nervende, wilde Zettelkleberei an Zäunen, Bäumen und Hauswänden beenden. Doch mit seiner Erfindung startete die Plakatwerbung so richtig durch. Heute stehen in Deutschland nach Angaben des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft 17.055 Litfaßsäulen, jedes Jahr werden alte ausgetauscht und neue aufgestellt.

Im Juli 1855 feierte der Druckereibesitzer und Verleger von Zeitungen wie "Berliner Krakehler" die Aufstellung des ersten runden "Stadtmöbel". Noch in der Nacht zuvor hatten Polizei und viele Helfer versucht, alle verbotenerweise an Wänden klebenden Zettel abzukratzen. Der Polizeipräsident war zufrieden. Litfaß verpflichtete sich, stets die neuesten Verordnungen und Bekanntmachungen der Stadt anzukleben. Die Berliner nannten Litfaß liebevoll ihren "Säulenheiligen".

"Im 19. Jahrhundert konnten sich Leute mit wenig Geld keine Zeitung leisten", sagt der Berliner Autor und Litfaßsäulen-Experte Reinhard Wahren. "Sie sind einfach an die nächste Ecke gerannt, um sich zu informieren." Während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 durfte Litfaß als erster Depeschen anschlagen. Mobilmachungen, Wahlaufrufe oder Heiratsankündigungen hoher Herrschaften waren dort ausgehängt. Tanzlokale, Weinstuben, Zirkusse und Theater machten Werbung. Bald gab es in vielen größeren Städten Deutschlands Litfaßsäulen.

In London und Paris habe es damals bereits Vorläufer gegeben, allerdings nicht in der klassischen, runden Form und mit dem Säulenschaft in englischgrün, sagt Wahren. In der französischen Hauptstadt standen stuckbeladene Säulen mit Zwiebelkuppeln und Schindeldächern, die von den deutschen Kritikern als "Missschöpfungen in der Form" geächtet wurden. In London zogen Pferdewagen achteckige Gebilde durch die Stadt.

Als riesige, öffentliche Zeitung habe sich die Litfaßsäule in Deutschland bis in die 20er und 30er Jahre gehalten, sagt Wahren. Nach dem Krieg teilten die Behörden dort per Aushang mit, wo Wasser oder Lebensmittelmarken zu bekommen sind. Die Bürger hefteten Vermisstenanzeigen und Schwarzmarktangebote an. Die Zeiten, in denen sich Scharen von Menschen um die runden Säulen scharten sind vorbei, doch mit überlebensgroßen Bildern von Filmschönheiten oder Werbeikonen sind sie immer noch ein Blickfang.

aus: Stuttgarter Zeitung, 6.3.05