Druckschrift & ihre Schöpfer

«Wir lernen lesen und schreiben. Aber nichts über die Schrift.» So weit die hinnehmbare Klage eines Typo-Esoterikers. Doch dass in der allgemeinen Öffentlichkeit festgestellt wird, man lerne in der Schule auch nicht mehr lesen und schreiben, gibt zu denken. Doch wer schreibt, sollte wissen, was Schrift ist. Und wer Schrift schreibt, hat es leichter, wenn er weiß, was Druckschrift ist. Gute Druckschrift. Denn von ihr kann man lernen. Für lesen und schreiben gleichermaßen.

 

Schrift ist noch relativ jung, ihre Entstehung weiß man nicht aufs Jahrhundert genau. Materialien, auf die Menschen früher geschrieben haben (Blätter, Pflanzenfasern) sind längst verfallen. Einzig in Steinen oder festen Materialien, Tontafeln als Beispiel, haben sie überlebt. Die die etwa handgroße Keilschrift, entstand etwa 3100 v. Chr. in Mesopotamien (ironischerweise dem Gebiet, das heut US-Amerikaner als kulturlos bekämpfen, nämlich Irak / Iran). Die Schrift entstand im kulturellen Umfeld früherer Städte für die Verwaltung. Sie war zunächst eine reine "Buchhalterschrift" und keine Darstellung der gesprochenen Sprache. Ein Alphabet, das nicht mehr aus Zeichen, sondern aus Buchstaben bestand, wurde von den Phöniziern erfunden. Einige Zeit danach, um etwa 500 v. Chr., entstand das griechische Alphabet. Dieses war vergleichbar mit dem phönizischen Alphabet, bestand aber nicht mehr nur aus Konsonanten, sondern auch aus Vokalen.

 

 

 

 Noch älter sind Bilderschriften, vor allem die Hieroglyphen der Ägypter, sie reicht in ihren Anfängen durchaus 12.000 Jahre zurück. Das Alte Testament (Bruchstücke, Rollen von Qumran) wurde in aramäisch geschrieben, eine Phönizierschrift-Variante. Im 3. Jhdt. v. Chr. schufen die Römer ihr Alphabet, einige Buchstaben kamen später hinzu. Bildsprachen entstanden auch im ostasiatischen Raum (China, Japan, Korea usw.; die chinesische/japanische Schrift ist eine Bilderschrift, nicht anders als Hieroglyphen). In Europa gibt es in "grauer Vorzeit" Runen, ein durchaus flexibles Schrift-, Symbol- und Informationssystem. Grafische Aufzeichnungen kennt man auch aus den Kulturen Südamerikas (Mayas). Von den Schriften (Sprache) unabhängig verlief die Entwicklung von Ziffern und Rechenzeichen (Werte, Größen, Mengen).

 

 

 

 

 

 

 

"Mutter der Druckschriften" ist die durch den Federkiel geprägte früh- und hochmittelalterliche zentraleuropäische Handschrift (charakteristisch: senkrechte kräftige Striche), die wiederum eine Weiterentwicklung früherer rundlicherer Unziale ist. Daraus entwickelte sich später die Majuskel (Großbuchstaben) und Minuskel (Kleinbuchstaben), die schon ähnliches Aussehen wie die später dann so genannte "typisch deutsche" Fraktur hatte. Gutenberg, Erfinder des Gusses einzelner Buchstaben in einer Metalllegierung und damit Schöpfer von großen Buchstabenvorräten, Voraussetzung für umfangreiche Druckbogen und vor allem sehr schnelles Zusammensetzen von Seiten, bildete seine Schriften der hoch entwickelten Schreibkunst der Klosterschreiber (Bibel-Kopisten, Urkundenschreiber) nach. Andere, die seine Art, Schrift zu gießen, zu setzen und zu drucken kopierten, blieben erst bei solchen Schriften. Gegen Mitte des 17. Jahrhunderts begann das eigentliche Aufblühen der heute als klassisch angesehenen Druckschrift.

Verwunderlich - oder auch nicht - ist, dass diese relativ alten Schriften uns heute noch gut lesbar und vor allem geradezu edel-modern erscheinen. Somit hat sich so etwas wie ein absolutes Ideal gebildet, wie Druckschriften aussehen sollten. Der Grund ist relativ einfach: Die Buchstabenformen sind ungemein charakteristisch, also merkbar, sie lassen sich gut voneinander unterscheiden und sind damit in vielen Situationen gut lesbar; und sie drücken eine Art stilistischer Würde aus, die das Gefühl anspricht und sich der Vernunft oder Logik entzieht.

 

 

 

Gutenberg-Bibel der Universität zu Austin, Texas; Seiten 1 und 2

 

 

 

 

 

 

 

 

Prachseite der "Keio"-Gutenbergbibel, Japan

Die Ranken und das Initial sowie Überschrift und etliche Zierbuchstaben wurden nach dem schwarzweißen Druck gemalt (illuminiert)

 

 

 

Aldus Manutius, 1449–1515; Italien

 

Um diese Zeit wurde keine "Profanliteratur" gedruckt, sondern ausschließlich wissenschaftliche Werke ("Kostbarkeiten"); Drucken war teuer und umständlich, es musste sich lohnen.

Gleichzeitig war es die einzige Möglichkeit, wissen personenunabhängig und vor allem zeitunabhängig zu sammeln und weiterzugeben.

Manutius, Seite aus »Vergil«, Venedig 1501

 

Manutius zeigt hier eine frühe Form der klassischen Corsiva, Kursiven (schräggestellten Schrift; im Gegensatz zu den heute computer-erzeugten geometrischen "Anschiefungen" ist die Kursive eine echte, eigenständige Schrift).

Anton Koberger, »Schedelsche Weltchronik«, Nürnberg 1493

unter anderem mit Bildern von Albrecht Dürer

 

Koberger ist der größte Druckerverleger des 15. Jahrhunderts in Deutschland. In seiner Druckerei arbeiteten an 24 Pressen mehr als hundert Mitarbeiter. Anders als üblich, dass Drucker nur die Bogen ungebunden ablieferten (und man sie selbst zum Buchbinder brachte, wenn man ein aufschlagbares Buch haben wollte), lieferte er auch gebrauchsfertige Exemplare ab. Mithin ist er der oder einder der frühesten Buchhändler. Koburger war, typisch Jünger Gutenbergs, ein umtriebiger Mensch. Aus seinen zwei Ehen gingen 25 Kinder hervor. Koberger lebte von 1440 bis 1513.

Claude Garamond, 14801561

Obwohl in dieser Zeichnung mit t endend, wird der Namen im allgemeinen als auf d endend verwendet.
 

 

Garamond ist einer der bedeutendsten französischen Stempelschneider, Hersteller von Gießformen für Schriften. Er hat das Aussehen und den Geschmack für klassische Druckschriften bis heute geprägt und muss als ein fundamentaler Wegbereiter der typischen Druckschrift gewertet werden. Noch heute ist eine nach ihm benannte Schrift, die Garamond.

Peter Schöffer der Jüngere, 15481547
 Bibelseite, Venedig 1542

 

Die Randbemerkungen heißen Marginalien und sind ein bis heute unübertroffen geniales Gestaltungsmittel. Der Satz "perlt", d. h., er hat einen gleichmäßigen Grauwert, ist ausgeglichen und ruhig. Eine Seite, wie sie auch heute nicht besser gestaltet werden könnte.

Albrecht Dürer, 1471–1528

 

 

Dürer war Maler, Holzschneider und Kupferstecher. Mit anderen Worten: er lieferte die physikalischen Vorlagen für die Illustration von Drucksachen oder Zeichnungen, die sich als eigenständiges Werk reproduzieren ließen. So gesehen der Vorläufer und erster Großmeister der Illustratoren (und später der Fotografen) im deutschen Druckkulturkreis. Er beschäftigte sich auch mit der Konstruktion von Schriften:

«So denn die Bauleute, auch Malr und andere, Schrift an die hohen Gemüuer zu machen pflegen, so ist es nötig, daß sie lernen Buchstaben zu machen.»

O Dürer, komm wieder, und lehre die Kids ...

 

 

 

Joseph Moxon
»Mechanick Exercises«, London 1683

 

Moxon ist einer der vielen, die Schriften und Schriftschneiden, Typographie und grafisches Gestalten in Gesetzlichkeiten, Relationen und Regeln zu beschreiben versucht; vor allem, um die Qualität auf breiter Front zu heben:

"Ich finde, dass ein

Anton Janson, 1620–1687
Schriftprobe, Leipzig, um 1674

Er lernte das Schriftschneider-Handwerk in Holland, damals auf diesem Gebiet stilistisch und handwerklich führend. Sein Weg führte durch verschiedene "alte Druckerstädte", so Frankfurt am Main und Leipzig. Auch er prägte eine Schrift, die zu den heute noch beliebten absoluten Klassikern gehört, die Janson-Antiqua. Antiqua-Schriften sind die, denen Laien immer wieder andichten, sie hätten jene "Füßchen", die sie von den "Druckschriften" unterscheiden. Was Quatsch mit Soße ist, denn die Antiqua-Schriften sind die eigentlichen Druckschriften fundamentaler Prägung (auch die typisch römische Versalschrift ist eine Antiqua-Schrift) und die modernen, Serifenlosen (Serifen sind die geschwungenen Ausweitungen, beim Airbus-Flugzeug, das auch Serifen hat, nennt man sie Winglets :-) sind eigentlich Holzschnitt-Plakatschriften, wie sie erst vor rund 100 Jahren in Mode kamen. Die heute dank Microsoftdiktat so dominant verbreitete Arial ist nichts anders als eine entgegen deutschem Copyright geklaute Helvetica, ein serifenlose Schrift (auch schon Klassiker) der neueren Schule. Die Helvetica wurde 1983 vom Linotype Designstudio entworfen und auf den Markt gebracht. Bill Gates hat sie nur kopiert, wie die Linotype Library heute noch wissen lässt. Nur so wird man reich, muss der Kommentar dazu lauten.

 

Pierre Simon Fournier, 17121768
Titelseite, Paris 1764

 

Er wird als der große Systematiker und den Schriftgießern bezeichnet; vielleicht, weil er aus einer bis dato bereits erfolgreichen und von Generation zu Generation das Gewerbe fortführenden Druckerfamilie stammt. Ihm verdankt man die Einführung des Punktsystems; Schriftgrößen und alle anderen Maße im Handsatz wurden fortan in Punkten angegeben. Sein Kollege, Firmin Didot, schuf ebenfalls ein Punktsystem, das sich schließlich durchsetzte. 1 Punkt ist 0,376 mm groß.

Giambattista Bodoni 17401813
Seite aus »Manuale Tipografico«, Parma 1818

 

Einer der berühmtesten Schriftschneider, vielleicht sogar der Höhepunkt der klassischen Druckschrift. Von der nach ihm benannten Bodoni schwärmen noch heute Gestalter; sie wurde in zahlreichen Versionen neu- und nachgeschnitten, durch die Möglichkeit der Digitalisierung immer weiter verfeinert — und hat doch nie den Charme wiederfinden können, der von den originalen Buchdruck-Typen ausging. Die heutige Fotosatz- und Offset-Technik druckt so randscharf, dass der Charakter der originalen Schriften, eben ein leicht unregelmäßiger Rand (durch die Quetschungen im Druck und die unvermeidbare Inperfektion beim Herstellen der Gießstempel) verloren geht und das Schriftbild eher technisch, niemals würdig wirkt.


Justus Erich Walbaum
17681837
Proben seiner Schriften

 

Weimar; hierhin zog es nicht nur die schreibende Zunft, auch die Schriftschaffenden war prominent vertreten. "Aus den Schriften Walbaums tritt uns der Geist der deutschen Klassik entgegen, deren Grundgefühl die Sehnsucht nach der Harmonie der Griechen und Römer ist. Der Deutsche sucht die Schönheit und die ewig gültige Beständigkeit er Dinge. Das Schlichte, Ungekünstelte erschien begehrenswert" urteilte man über seine Schriften. Walbaums Schriftgießerei wurde übrigens an F.A.Brockhaus verkauft, dem Stamm des späteren berühmten Lexikons.

Thomas James Cobden-Sanderson, 18401922
Seite aus Goethes «Faust», London 1906

 

Wer hierbei nicht ans Schwärmen kommt, dem ist mit Typographie nicht mehr beizukommen. Cobden ist ein bahnbrechender Gestalter, der auf jeglichen bis dato so beliebten ornamentalen Schmuck verzichtet und nur auf Schrift setzt – ein absoluter Purist also; solch eine klare Typographie ist vielleicht Mitte der 60er Jahre in der Schweiz noch einmal aufgeblüht und Meisterwerke heutiger Graphic Designer kehren ebenfalls wieder zu dieser Einsicht zurück. Man kann nur davon lernen. Denn Cobden-Sanderson fasst so zusammen: "Die Hauptaufgabe des Buchrucks, ebenso wie der Schreibkunst, ist es, unserer Vorstellungskraft ohne Wegverlust den Gedanken oder die Vorstellungen zu übermitteln, deren Übermittlung vom Autor beabsichtigt war." In späteren Jahren durch den berühmten Satz des Architekten Sullivan zusammengefasst: "Forms follows function".

Walter Tiemann 18761951
Leipzig 1921

 

Man nennt solche Menschen wohl Wanderer zwischen den Welten. Geprägt und im innersten, mit den erarbeiteten Idealen der Klassik verpflichtet, dennoch beeinflusst von Jugendstil und der im Bauhaus Bahn brechenden Reduktion schuf Tiemann subtil gestaltete Werke.

Paul Renner, 18781956
Schriftproben, Franfurt am Main 1930

Paul Renner stammt aus Wernigerode im Harz; eher zufällig kam er zur Buchillustration; in München gründete er eine grafische Fachschule und gab Bücher über das Thema heraus. Mit der Futura wollt er bewusst eine "Gebrauchsschrift" schaffen, der praktischen Nutzanwendung verbunden.

 

Für die Moderne gilt: sie ist die Schrift der Schriften, der Dreh- und Angelpunkt moderner Typographie. Futura, schon der Name weckt Inspirationen, die Vielfalt ihrer Schnitte lässt keine Wünsche offen. Sie wurde in der Univers etliche Jahrzehnte als Grundidee (eine Schriftfamilie für alles) nacherfunden. Freilich bleiben die charakteristischen Buchstaben der Futur Inbegriff für das, was auch heute noch unter "Druckschrift" verstanden wird. Klare Linien, simple Formen, ausgewogene Harmonie, jeglicher Verzicht auf alles, was nicht dem Buchstaben als reiner Form dient. Paul Renner hat diesen Renner unter den Schriften 1929 geschaffen.

Einer seiner Merksätze: «Der wirklich Begabte fühlt sich an keine Regel gebunden; denn sein künstlerisches Gewissen bewahrt ihn davor, daß er gegen die Gesetzte selbst verstoße.»

Hermann Zapf, geb. 1918
Schriftblatt, Frankfurt am Main 1960

 

 

Unter den lebenden Schriftschöpfern ist er einer der ganz Großen, vielleicht sogar der Mann an der Spitze. Und unter den ganz Großen ist er der vielleicht begabteste, ein absoluter Meister der Kalligraphie. Wer davon etwas mitbekommen möchte, dem sei der Schriftfont Zapfino der Linotype Library mehr als empfohlen. Selbst im hohen Alter, auf die 90 zugehend, arbeitet er fast jeden Tag daran, sämtliche seine Schriften, und dies sind viele, für die heutig höchst differente Computertechnik neu und besser als jemals zuvor aufzubereiten. In seinen Jugendjahren konnte er freihändig Schriften, übrigens spiegelverkehrt, so klein schreiben, dass sie der Leser nur unter der Lupe entziffern konnte. Noch heute schreibt Zapf solche Blätter wie das linke in einem Zug, in wenigen Minuten, frei mit der Hand, in jedem Detail absolut fehlerfrei. Genie ist ein fast zu geringer Ausdruck für diesen Mann.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zusammenfassung der Schriftentwicklung