Revolution

Solingen ist immer gut für eine Revolution. Das mag im völligen Gegensatz zu den Beobachtungen in der heutigen Stadt stehen. Ja eben. Denn es muss heißen: Solingen WAR früher immer mal wieder gut für eine Revolution. Hier hat es manchen Zoff gegeben, aber höchst wirkungsvollen. Zwar ist Solingen nicht die Wiege der Sozialdemokratie, aber eine der wichtigsten Impulse. Solingen setzte Heimarbeitergesetze durch und ein Gesetz zum Schutz eines ganzen Stadtnamens für bestimmte Waren. Ein streitbares Völkchen. Auch jetzt noch. Nur hat man den Eindruck, ehedem hat das Streiten etwas bewirkt.

 

Muss man sich so die Kneipen oder größere Privatzimmer vorstellen, in denen heimlich Parolen geschmiedet, Aufstände ausgedacht und Stimmungen hochgeputscht werden? Vielleicht jedenfalls wird es so ähnlich manches mal in dieser Stadt ausgesehen haben.

"Velhagen&Klasings Monatashefte", Nov. 1926, Berlin
Nach einem Gemäldevon Friedrich Wilhelm Schoen "Stubenvoll-Gesellschft", einer Münchner Künstlervereinigung um 1840

 

Gefallen lässt sich nix! Als Schmalbach-Lubeca 1984 in Velbert das Werk schließen wollte, schlossen sich die Arbeiter zusammen und gründeten in Solingen einen Verein, der sich zum Motto machte "Wenn wir uns nicht rühren, rührt sich nichts!" Mit dieser rührende Parole kämpfte man für eine Übernahme des Betriebes in ARbeitnehmerhand - eben wie 1848 auch schon einmal (1848, 1984, das kann kein Zufall sein!)

Herausgeber: Förderverein Arbeitnehmer übernehmen den Betrieb, Solingen
 

 

Nachdem 60 Arbeitnehmer aus eigener Tasche eine Million DM zusammenbekamen, scheiterte schließlich die Übernahme doch, weil Banken und Bürgschaftgeber nicht mitputschen wollten.

Goethes "Faust" gilt im allgemeinen als ein zentraler Fixstern im Firmament der deutschen Literatur. Wollte man ihm etwas unterstellen, so könnte es dieses sein: Goethe hat den Stoff aus Solingen geklaut. Echt und wirklich. Sie glauben es nicht? Lesen die  Sage "Der Waffenschmied von Solingen" in der Kurz-Zusammenfassung à la Readers Digest.

Deutsche Arbeit in der Sage
Neu erzählt von Georg Nowottnik,
Studienrat in Berlin
Weidmannsche Verlagsbuchhandlung, Berlin (die existiert seit 1680 und heute immer noch)
Umschlag nach einer Zeichnung von E. Eifler
vermutlich um 1938
 

Ein Schmied in Solingen, ob seiner Qualität berühmt und reich. Er wird immer mürrischer und selbstversunkener. Einer seiner Kunden, ein Ritter, hatte ihm aus dem Orient ein Schwert mitgebracht, dessen Klinge unerreichte Eigenschaften hatte: zugleich völlig biegsam und schlug selbst Metallstäbe durch, ohne Schaden zu nehmen. Ihm gelang nicht, hinter das Geheimnis zu kommen.
Sein bester Gehilfe hielt um die Hand der hübschen Schmiede-Tochter an. Der Alte stellte den Jungen vor eine unglaubliche Herausforderung: finde das Geheimnis des Stahls, und die Tochter ist Dein.
Nun waren es zwei, die in der Schmiede Tag und Nacht grübelten und experimentierten. Ohne Erfolg. Eines Morgens ist der junge Mann verschwunden - ohne Nachricht.
Er hatte sich auf den Weg nach Damaskus gemacht.

 

 

 

 

 

Ach ja, was das nun das Geheimnis des Damaszener-Stahl ist? Nun, kaufen Sie sich ein solches Schwert und ergründen Sie es! Es wird sagenhaft werden.

Im Odenwald fand er eines Abends eine Hütte mit einem einsamen Licht. Eine alte Frau lud ihn ein, zu nächtigen und bereitete ihm ein bescheidenes Abendbrot. Er erzählte von seiner Aufgabe und Vorhaben. Am nächsten Morgen, als er erwacht, sitzt der Teufel im Raum, grinst ihn an, legt einen versiegelten Umschlag auf den Tisch, verspricht, darin sei das Geheimnis des Damaszenerstahl-Schmiedens. Er dürfe davon Gebrauch machen, vorausgesetzt, der Jüngling unterschriebe einen Vertrag. 7 Jahre, 7 Monate und 7 Tage nach dem Erbrechen des Siegels verpflichte der sich, dem Teufel zu dienen. Was den Suchenden in die totale Verwirrnis stürzt - Siegel erbrechen und die Liebste heiraten oder dem Teufel eine Abfuhr erteilen. Ihm geht durch den Kopf: diese Entscheidung kann ich immer noch später treffen, ich kann den Brief nehmen und muss das Siegel nicht brechen. Er ritzt sich die Haut auf und unterschreibt den Vertrag mit seinem Blut. Der Teufel ist's zufrieden, es riecht nach Schwefel, ein Flämmlein züngelt auf des Teufels Kopf und er entschwindet.
Der so Versuchte eilt nach Solingen zurück, wo große Sorge ob seines Verschwindens herrscht. Kaum angekommen, vertraut er seinem Schwiegervater in spe das unheimliche Erlebnis an. Die beiden überlegen, was zu tun sei. Der alte Schmied entscheidet: Du bekommst die Tochter zur Frau, da Du der Liebe zu ihr wegen Deine Seele verkaufen wolltest - womit man aber kein Erdenglück erkaufen kann. Sodann legen sie beide den nicht erbrochenen Brief in einen Kasten, verschlossen ihn und versteckten den Schlüssel. Sollten die Kinder des neuen Paares oder deren Kindeskinder das Geheimnis eines Tages entdecken, so wissen sie nichts vom Pakt mit dem Teufel und dürfen in aller Unschuld das Geheimnis um die Herstellung der besten Klingen zum Ruhme und zur Ehre Solingens in die Tat umsetzen. Was dann auch, wie man weiß, so geschah. Damaszener Stahl aus Solingen erlangte in der Tat Weltruhm.

Um der Wahrheit und des Wissens willen also opfert der Solinger seine Seele. "Faust" hätte also besser in einer Solinger Schmiede denn in Leipzigs Auerbachs Keller spielen sollen. Denn das Wesen der Solinger will immer die Welt revolutionieren. Oder diese in Liebe umspannen. Am besten beides zugleich.

 

Schöne alte Sozi-Träumer-Zeit, in der unter anderem aktuell solche Titel im gleichen Verlag angeboten wurden:

- Zerschlagt die Wohlstandsinseln der Dritten Welt
- Kinderkreuzzug oder Beginnt die Revolution den Schulen?
- Der amerikanisch Rüstungswahn oder Die Ökonomie des Todes
- Revolution der Erziehung oder Erziehung zur Revolution?
-Kann Israel noch besiegt werden?
-Linksradikalismus, Gewaltkur gegen die Alterkrankheit des Kommunismus
- Dialektik der Befreiung
- Überwindet den Kapitalismus oder Was wollen die Jungsozialisten?
- Dialektik ohne Dogma? Naturwissenschaft und Weltanschauung
- Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott
- Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt
- Ausbildung statt Ausbeutung. Der Kampf der Essener Lehrlinge
 

Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg,
März 1972
ISBN 3 499 16724 7

Ein paar hübsche Ideen aus diesem Buch:

- das Unterrichtsmaterial wird weitgehend selbst hergestellt
- Übernachtungsmöglichkeiten für Schüler und Eltern in der Schule
- Wohnungen für das gesamte Personal
- gleicher Lohn für alle Angestellten
- Eltern, die sich für die Schule engagieren, erhalten von der Schule Geld für entgangenen Arbeitslohn
- die Schule hat einen eigenen Fahrer und eine eigene Küche

Erst jüngst wurde ein Streit um eine neu zu errichtende Ganztagsschule politisch ausgefochten. Wie altmodisch! Da waren die 68er längst weiter und hatten überwunden, woran später der real existierende Sozialismus scheitern würde: die Kleinbürgerlichkeit des Denkens. Sie forderten, und zwar explizit für Solingen, eine Schule, in der die Schüler mit den Eltern und den Lehrern gemeinsam festlegen sollten, wie sie sich aus ihrer Rolle als Arbeiterkinder befreien können.
Peinlicherweise war das Ganze auch noch ernst gemeint.

 

 

Nomen es omen. Dort, wo sich die erste Partei, ein Debattierclub, Solingen gegründet hat, findet sich heute eine Lücke. Ein Parkplatz, das einzig nicht mehr bebaute Grundstück in der westlichen Reihe des Straßenzuges Kölner-/Mummstraße. Und Debattierclubs, nun, das sind die Parteien schon lange nicht mehr. Es sind Ränkeschmieden und Jagdreviere, Heulanstalten (nein, keine Heilanstalten) und Altenclubs. Aber eben keine offenen, progressiven Debattierclubs.

Anlässlich der Ausstellung 1999 im Stadtarchiv veröffentliche das Solinger Tageblatt diese Dokumentation in Form einer Zeitungsbeilage. A la bonheur, da ist exzellent zusammengetragen, was es an Wissenswertem über die Revolution 1848 in Solingen gibt. In gutem Zeitungsdeutsch aufbereitet, sehr vielseitig und mit vielen Details, die überraschen. Beste Dokumentation der Zeitgeschichte, und leider schon wieder in Vergessenheit geraten. Es ist eben die unendliche Schande für diese Stadt, dass keiner sonst Lust und Laune hat, solche Informationen im Internet bereitzuhalten.

25.2.199; Solinger Tageblatt
Autoren: Wilhelm Matthies, Ralf Rogge

 

1848 Es werde Deutschland

22. Februar, Paris brennt, politisch; die Barrikadenkämpfer vertreiben den König; die Flamme der Revolution entzündet auch Italien, Ungarn, Böhmen, Polen, Deutschland
Von Mannheim aus verbreiten sich im März die Forderungen nach Volksversammlungen im ganzen deutschen Land
am 9. März werden die bis dato verbotenen Farben schwarz-rot-gold zu Bundesfarben erklärt
18. März: in Elberfeld und Barmen kommt es zu Aufständen
Der Solinger Stadtrat bleibt devot und untertänig; er erbittet schriftlich vom preußischen König um die Einberufung eines vereinigten Landtages
Die Solinger Arbeiter gehen in die Offensive: die Gießerei Hammesfahr & Kratz wird am 16. März zerstört; andere Fabriken waren danach Opfer der Volkswut; schließlich waren es an die 1.000 Personen, die in Höhscheid randalierten und gegen die verhassten Fabriken ihre Wut ausließen; vor allem hatte das sog. Trucksystem, die Bezahlung von Arbeit mit völlig überteuerten, teils nutzlosen Waren statt mit Geld, zu dieser Eskalation geführt und die Menschen in eine elende Armut.
Vom 31.3. bis 3.4 tagte in der Frankfurter Paulskirche die erste deutsche  Nationalversammlung; der Anfang der Demokratie war gemacht, auch wenn die Monarchie mit ihrem Militär noch einmal die Oberhand zurück gewann. Solingen wählte den Bonner Professor Ernst-Moritz-Arndt (im Weegerhof erinnert eine kleine Straße an ihn) als ihren Abgeordneten in Frankfurt.
22. März, rund 300 Bürger Solingen errichten eine Bürgergarte unter dem Vorsitz von Kaufmann Gustav Weyersberg; sie wurden mit Lanzen und Säbeln bewaffnet; Gewehre gab es vorerst nicht, später erhielt man alte, gefährliche und unbrauchbare aus einem Depot in Köln; so also blieb Solingen schussfreie Zone
Mitte März erschien Solingens zweite konzessionierte Zeitung, das Bergische Organ. Das Solinger Kreis-Intelligenzblatt, von Carl Siebel herausgegeben, war 1809 zum ersten Mal erschienen.
Am 19. Mai bildet sich offiziell ein Debattierclub, der als erste politische Partei in Solingen angesehen werden kann; er spaltet sich bald in differente Geistesströmungen. Es war per Satzung strikt verboten, Reden abzulesen; nur Notizen durften als Hilfe benutzt werden. Im Oktober gründete sich in Solingen eine monarchistische Partei.
Durch einen Staatsstreich in Berlin wird das dort neu installierte Parlament wieder aufgelöst, die inzwischen in Kraft getretene Verfassung missachtet.
In Solingen entstehen im Sommer und Herbst etliche sog. Demokratische Zweigvereine; die Vorgänger der späteren Sozialdemokraten und Gewerkschaften; vor allem Arbeiter artikulieren und diskutieren in diesen Versammlungen über ihre Situation.
Im Mai 1849 eskaliert die Situation im Bergischen; in Elberfeld und Solingen waren viele Menschen bestrebt, die Beschlüsse der Frankfurter Nationalversammlung zu verwirklichen, was ausdrücklich gegen die Anordnung der preußischen Militärmonarchieverwaltung war. Daraufhin beschloss diese, Truppen nach Elberfeld zu senden, also einen Bürgerkrieg im eigenen Land zu provozieren (praktisch das gleiche, was in Ungarn, der Tscheoslowakai oder in China sehr viel später geschah). Es kam zu Schießereien, auf beiden Seiten war je ein Toter zu beklagen; doch die Truppen mussten wieder abziehen. Am 10. Mai, dem Tag der Kämpfe, herrschte in Solingen Chaos und Ausnahmezustand; aufgeregte Bürger überall in der Stadt (ähnlich wie zur Öffnung der Berliner Mauer).
Im Mai 1849 gründet sich nach Elberfelder Vorbild in Solingen ein Sicherheitsausschuss, der die Bürgerwehr unterstützte. Führender Kopf war der Kaufmann Jellinghaus (sein Haus ist heute ev. Gemeindeamt der Lutherkirche; gegenüber der IHK).
Am 17. Mai 1849 kämpfen preußische Soldaten auch in Solingen die Revolution nieder; die erste Kraftproben zwischen "unten" und "oben" gewinnt der alte/neue Staat.
Am 18. Mai 1849 wurden die Rädelsführer der Aufständischen, u. a. auch Wilhelm Jellinghaus, vom Staat verhaftet und nach Düsseldorf gebracht, in Elberfeld wurde ihnen später der Prozess gemacht. Die meisten wurden wie Sklaven an einem Baumstamm auf einem offenen Pferdewagen abtransportiert, für Jellinghaus stand eine Kutsche bereit. Die Aufständischen waren Männer im Alter von 20 bis ca. 40 Jahren, einige der Namen: Hermann Roese, Bierbrauer und Wirt, Friedrich Hermann Armberger, Buchhändler, August Röhrig, Schwertfeger, Friedrich Voß, Messermacher, Heinrich Trostorff, Schieferdecker, Theodor Pohlig, Kaufmann, Friedrich Clarenbach, Federmesserarbeiter, Joseph Hermanns, Ackersknecht, Emmerich Nierendorf, Tagelöhner. Sie erhielten teils Freispruch, einige Gefängnisstrafen, wurden unter Polizeiaufsicht gestellt, mussten Zwangsarbeit leisten. Friedrich Braake, Drechsler in Vorspel, wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet; er selbst hatte nicht mehr "verbrochen" als die anderen, sein Pech war, dass er vom Gericht ausgewählt wurde, "ein Exempel zu statuieren". Gnädiger gütiger "Vater Staat"!
Für die aufständischen Höhscheider (Fabrikzerstörungen) fielen die Urteile milder aus; überwiegend gab es sogar Freispruch, nur drei mussten in Haft. Das Gericht nahm auf die immer noch explosive politische Lage Rücksicht. Die Freigesprochen wurden per Pferdewagen im Triumpfzug nach Höhscheid zurückkutschiert.

 

Das Bergische kämpft für politische Freiheit

Ein Kommentar

Sehr subjektiv, dafür aber auch ehrlich gemeint

Es ist leicht, über früher so genannte "Proleten", die "Arbeiter" zu schimpfen, zu lästern, zu lamentieren. Es ist leicht und dumm. Vor allem die sich selbst so weihevoll titulierenden Bürgerlichen machen dies mit einer Vorliebe, die an Dämlichkeit und Arroganz kaum zu übertreffen ist. Natürlich war, und bei alles Respekt, sind "Arbeiter" schon per Definition eben jene Personen, die in aller Regel universitären Geisteshöhenflügen und der philosophischen Weihen nicht unbedingt nahe stehen. Wer an einer Maschine oder im Handwerk, im Transportwesen oder in Dienstleistungsbranchen arbeitet, muss sich auf andere Dinge konzentrieren als auf die Theorie des Konjunktiven: hätte, könnte, sollte, müsste, würde. Beim Arbeiten geht es um den Moment, das Hier und Jetzt, die Aufmerksam auf das Werkstück, die unmittelbare Tätigkeit. Das ist weder "minder" noch "schlechter" oder "weniger" als hochtrabendes Reden, noch ist es ein Mangel. Im Gegenteil, wären die Arbeiter nicht, all die Schwafeler und Lästerer hätten nicht das geringste zu essen, zu leben, hätten weder Sicherheit noch Komfort, keine warme Stube und schon gar nicht ihren gepriesenen Wein oder sonstige Rausch- und Lebensgenussmittel. Und die Fabrikanten und Unternehmer, ihre katzbuckelnden, arschkriechenden Adjudanten in Form von so genannten Beratern, würden nicht einen Thaler ihres prahlerisch erworbenen und Standesbewusstsein förderndes Vermögens verschwenden oder verwenden können, wären das nicht die Arbeiter, die als "Masse", "Volk", neumarketingdeutsch als "Consumer" eben jene Dinge kaufen können, die des Händlers und Produzenten Reichtum mehren. Nicht dass Reichtum und Vermögen geneidet, verboten, beschimpft werden soll - es ist immer die Frage, wie man damit umgeht. Gerade in Solingen gibt es dafür sehr viele gute und etliche schlechte Beispiele.

Auf der einen Seite kämpften die Arbeits-Abhängigen (man nannte sie lohnabhängig) über Jahre und Jahrzehnte nicht selten unter Einsatz von Leib und Leben, in einem längst vergessenen Maße unter Einsatz ihrer beruflichen Existenz um bessere Arbeitsbedingungen, um Gerechtigkeit, um Demokratie. Das Bergische, auch Solingen, ist eine Wiege sozialdemokratischen Gedankentums, gerade weil die abhängigen Arbeiter sich als so genannte Selbständige (Heimarbeiter) behandeln lassen mussten und doch über keinerlei Einfluss verfügten. Sie fühlten sich in ihrer Ehre und ihren Möglichkeiten gekränkt und rebellierten. Sie trugen maßgeblich dazu bei, dass inzwischen eine Gesellschaftsform, ein deutscher Staat entstehen konnte, der in Ansätzen Gerechtigkeit zu verwirklichen versucht, bei dem aber der Reichtum, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, auf dem "Reichtum der Masse", also Volksvermögen im wörtlichen Sinne, gründete. Es waren vor rund 150 Jahren Bergische Arbeiter, die das erkämpften, wovon wir heute alle (alle !!!!) profitieren und wenn es uns "gut geht", dann vor allem deswegen, weil diese Arbeiter zu Opfern, zu Kampf und Selbstbewusstsein bereit und fähig waren. Wir verdanken ihnen viel. Viel mehr, als in Erinnerung wach gehalten wird.

Und andererseits die Kaufleute und Fabrikbesitzer, die alles andere waren als Ausbeuter. Die - erinnert sei an die Familie Coppel, und sie steht stellvertretend für viele andere - mit wahrhaft generösen und warmherzigen Stiftungen dafür sorgten, dass soziale Hilfe denen zuteil werden konnte, die ansonsten nicht in der Lage gewesen wären, sie zu bezahlen. Unternehmer haben dafür gesorgt, dass "ihre Arbeiter" in Lohn und Brot, in Gesundheit und sozialem Frieden leben konnten. Das hat nichts mit Patriarchentum zu tun, ganz im Gegenteil, es ist die Grundlage des meistvergessenen und heute mit Füßen getretenen Satzes des aktuellen deutschen Grundgesetzes: "Eigentum verpflichtet". Es war alles andere als eine heile Welt. Aber es war eine Situation, mit der man sich arrangieren konnte. Überwiegend jedenfalls.

Edison hat 10.000 Versuche gebraucht, um die Glühbirne zu erfinden. Seine Erfindung revolutionierte die Welt, machte die Nacht zum Tag und erst das möglich, was wir heute modernes Leben nennen und das so selbstverständlich geworden ist, dass wir es vor Gericht einklagen können und Recht wie auch Geld bekommen, es uns leisten zu können. Keiner gedenkt der Mühe, die es dem Erfinder kostete, seine Verzweiflung über Misserfolge zu überwinden und weiterzumachen. Das gleiche Beispiel gilt auch für die Bergischen Arbeiter (und nicht nur die bergischen). Sie haben verzweifelte Tage, Wochen, Monate und Jahre erlebt. Sie haben gehungert und gelitten - in der Literatur beschrieben und allenfalls von Intellektuellen heute noch zur Kenntnis genommen. Arbeiter, "das Volk", die Proleten haben gekämpft und Nachteile in Kauf genommen, ihren Familien Arges zugemutet und natürlich, auch gehörig Bockmist gebaut. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Wer etwas wagt, muss mit Fehlern leben können. Die Heutigen, auch wenn sie keine Erinnerung und vor allem keine Beziehung zu den Altvorderen haben, profitieren alle, ohne Ausnahme von den Errungenschaften von "damals", die bis in die Jetztzeit reichen.

Respekt und Gerechtigkeit gebieten es, den Kampf der engagiert-motivierten Bergischen "Freiheitler", egal welchen Standes, egal welcher Motivation, egal welcher politisch-religiösen Anschauung, zu würdigen und in Erinnerung zu halten. Sie haben geschaffen, was wir allzu oft allzu leichtfertig aufs Spiel zu setzen bereit sind. Es ist unsere Pflicht, der zu gedenken, die uns Gutes getan haben.