Solingen-Mosaik 7 Kunterbuntes

Was man zeigt, wenn man eine Stadt charakterisiert, sind Äußerlichkeiten. Häuser, Landschaften, Straßen, Kunstwerke. Doch was man studieren muss, wenn man eine Stadt kennenlernen will, sind die Menschen und ihre Ideen. Die Taten, die sich aus Visionen ergeben.

 

Walter Scheel

Der Ex-Bundespräsident aus Solingen lässt sich in der Klingenstadt kaum sehen, was sollte er auch hier. Bei wenigen offiziellen oder privaten Gelegenheiten (im Geheimen) ist er in der Stadt, das öffentliche Bewusstsein kennt ihn inzwischen fast nur noch als legendären Sänger oder wie man despektierlich für repräsentierende Amtspersonen sagt als "Grüß-August".

 

Solinger Morgenpost 8. 7. 2004

     

Tabubruch

Todesanzeigen in der Zeitung sehen von Stadt zu Stadt, also Zeitung zu Zeitung, anders aus; es bildet sich über Jahre und Jahrzehnte eine individuelle gestalterische Tradition. In Solingen war über ewig lange Zeit Schlichtheit angesagt, nur Text, ab und zu ein Kreuz, kaum einmal ornamentaler Schmuck. Dann, mit der Umstellung auf Fotosatz und Offset, gelegentlich "abgesoftete" (weiche) Hintergrundbilder. Bis Jochen Sommer starb. Er war der erste, der in vollem Karnevalsornat abgebildet wurde. Mit einem Sinnspruch, der zu Fröhlichkeit und Tanz aufrief. Typisch Jochen. Keinen der ihn kannte, hat es gewundert. Denn wieder einmal, ein letztes Mal, hatte er geschafft, was anderen unmöglich erschien. Und sich, typisch Jochen, wieder einmal zwischen die Stühle gesetzt. Den des Formalismus und Etikette sowie den der ungehemmt-egozentrischen Individualität.

 

 

Mit Jochen Sommer starb, diesmal sei die Metapher "viel zu früh" mehr als angebracht, ein Mensch, der es wollte und genoss, nicht unumstritten zu sein. Und gleichzeitig sehr unter dieser Situation litt, weil alles, was er tat, durch seine Überzeugung geprägt war, Gemeinschaft gehe über alles. Dass er dabei stets in Anspruch nahm, ein besonderer Teil der Gemeinschaft zu sein, steht dazu nicht im Widerspruch, sondern kennzeichnete sein Denken, Wesen, Handeln: was ich tue, ist gut für alle; was gut für alle ist, muss richtig sein. In Vereinen von ihm mitgegründet, mitgetragen, mitgestaltet , in Parteien und Gremien brachte er Ideen ohne Ende ein und Personen gegen sich auf – mit konsequenzen-reichen Folgen. Doch Jochen Sommer ging es stets um die Sache. So sehr, dass er ihretwillen weder sich noch andere schonte. Ein findiger Querdenker, originell in seinen Ideen und ungewöhnlich in seinen Ansichten, mutig in seinen Taten und wirkungsvoll in seinem Handeln. Aber nicht frei von taktischen und faktischen Fehlern, was ihm auch den Ruf einbrachte, ein Poltergeist zu sein. Doch seine Anpassungs- und Toleranzfähigkeit war wesentlich größer, sein Wesen geduldiger, als er es nach außen vermitteln wollte oder konnte und es ihm zugetraut oder vorurteilhaft zugeschrieben wurde. Dass er so früh an einer tückischen Krankheit starb, dass er nicht mehr zugegen ist, hat wieder einmal jene Leere bewusst gemacht, die ein jedes "Original" durch seinen Tod hinterlässt. Der Stadt, Solingen, täte es gut, es gäbe mehr solcher Menschen, mit der Eigenschaft, aufzuregen, aber auch mit der Gabe, anzuregen.

 

     

Kunst

Fast, nicht ganz, aber viel zu oft, viel zu viel, ist "Kunst" in Solingen ein Fremdwort. Oder eine esoterische Vokabel für Eingeweihte. Kunst findet in Solingern ohne jeden Zweifel statt, aber viel zu wenig, gemessen an ihrer Kraft und Qualität, im Bewusstsein und Licht der Öffentlichkeit. Obwohl es phantastische Leistungen auf allen Gebieten gibt, von der Malerei bis zum Tanz, von Design & Objektgestaltung bis zu Bühne, Gesang, Slapstick und Musikern auf internationalem Niveau, viele Ausstellungen, Galerien und gut geführte, sehr gut bestückte Museen, scheint Kunst "jet für die Dollen" und neue Ideen sowieso in die Sparte "wat soll dat?" zu fallen. Schade. Denn die Kunst "made in Solingen" hätte mehr verdient, als ins Feuilleton abgeschoben zu werden.

 

Die Solinger Nikolas Hohnrath, Rajani Dias, Sebastian Schade versuchen gerade, Solingen für sich zu erorbern. Rein idianisch natürlich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Postkarte der Aktion "www.plakatsolingen.de", 2004, im Rahmen der Regionale 2006

 

August Dicke

1859 geboren
1896 Bürgermeister (kurz danach Oberbürgermeister)
1928 Ende der Amtszeit, Ehrenbürger
1929 gestorben
 

Bei allem Respekt vor den Leistungen anderer Bürgermeister und Oberbürgermeister: dieser Mann hat wahrscheinlich die Stadt am intensivsten weitergebracht; vor allem war er der Richtige zur rechten Zeit. Als Solingen bevölkerungsmäßig geradezu explodierte, als die industrielle Entwicklung alles auf den Kopf stellte, als auf die Kommune ungeheuer große, völlig neue Aufgaben zukamen, als die Moderne voll an Fahrt gewann, war er über lange Jahre Erster Mann in der Stadt. Und hat Projekte in die Wege geleitet, von denen Solingen noch heute, gut 80 Jahre und mehr danach, noch profitiert. Mit auf sein Tatenkonto geht auch die Städtevereinigung, die er intensiv forderte und förderte. Leider konnte er deren Verwirklichung nicht mehr persönlich miterleben, er starb ein halbes Jahr zuvor.

Noch um 1850/1900 gehörte Solingen zu den Städten mit der größten Bevölkerungsdichte bezogen auf die Wohn- und Arbeitsfläche.

 

Die August-Dicke-Schule, das frühere Lyzeum, Oberschule für Mädchen, an der Schützenstraße. Ein Bau der trotz deutlicher Bauhaus-Elemente die nationalsozialistische Protz- und Pomparchitektur vorwegzunehmen scheint; ein optischer Eindruck, der der intellektuellen Kühnheit und Liberalismus von August Dicke nicht gerecht wird.

 

Warnhinweis

Wenn Sie einmal nach Solingen kommen, werden Sie auf solche Schilder stoßen. Sie besagen, dass im Stadtgebiet die Stadtverrücktenordnung gilt; keiner, der nicht ein wenig meschugge ist, darf sich hier aufhalten. Und schon gar nicht für alle mit einem Intelligenzquotient höher als 10. Das wird sehr genau überprüft. Weil jeder, der sich normal benimmt, fällt ohnehin sofort auf.

 

 

Das ist die sog. "Solinger Weiche". Eine unter Politikern und anderen Demonteuren gern genutzte Variante: Erst versperrt man den Weg, dann macht man den Weg dorthin kaputt, dann lässt man alles liegen. Wenn jetzt anders die Weichen neu stellen will, erzeugt er eine Katastrophe. Die Täter jedoch sind längst auf und davon. 

 

 

Bevor Sie es selbst falsch interpretieren, komme ich Ihnen lieber mit einer Erklärung zuvor: Ja, die Solinger Innenstadt führt konzeptionell in eine Sackgasse. Deutlich ausgewiesen, auch wenn uns die Silhouette das Blaue am Horizont verspricht. 

 

 

Dagegen, wer stadtauswärts fährt, quasi flieht, dem hilft man durch eine sehr übersichtliche, einfache, sofort verständige Beschilderung, den rechten Weg zu finden.

Bitte atmen Sie ruhig und kontrolliert weiter, aber mehrfach haben die Planer bereits öffentlich behauptet, diese Beschilderung sei optimal und nicht zu verbessern. Klar, wer unruhigen Geistes ist, wird hier sein Eldorado finden.

 

The Show must go on. An den Chancen zu einem heute üblichen mit PR-Rummel begleiteten Karrieresprung des Solinger Sängers Marco Matias nimmt die Klingenstadtpresse intensiv Anteil. Marco Matias, dessen portugiesische Eltern in den 70er Jahren nach hier kamen, wird von der Musikbranche verkaufsgerecht durchgestylt: eine Mischung aus erotischem Supermann mit dem sanften Lächeln, das Schwiegermütter so mögen. Dass er sich so rührend um hilflose Frauen kümmert wie auf diesem Bild, hat seinen kommerziellen Grund: die beiden, als Duo mit einem zunächst anonym vom Papst des deutschen Schlagerguts, Ralf Siegel, eingereichten Song  aufgetreten, warten auf die Stimmauszählung. Leider langte es nur zum zweiten Platz, und nun vertreten sie nicht Deutschland beim European Song Contest 2005 (früher mal Grand Prix Eurovision de la Chanson).

 

14. März 2005

Des musealen, aber funktionstüchtigen Wasserwerkes Glüder (von hier wird das gute Solinger Sengbachtalsperrenwasser ins Leitungsnetz gepumpt)

 

Ist nun mal so: ohne Chemie gibt es kein natürliches Wasser. Heute mag eben keiner mehr Keime und Bakterien. Schade.