Solingen und sein Industriebezirk

Dieses Buch, ich weiß nicht mehr, wie es in meinen Besitz kam, hat mich über Jahre grübeln lassen, wie ich es "öffentlich machen" könnte. Weil es nach meiner Auffassung das inhaltlich und gestalterisch schönste ist, das ich jemals über Solingen gesehen habe. Die Typografie, die Fülle der Informationen und Aspekte, vor allem aber die Anzeigen, die für einen "alten Bleisetzer" geradezu der Olymp der Erinnerungen und der Wehmut sind, das wollte ich gerne jenen zeigen, die auch - und sei es aus purer Nostalgie - Interesse am "alten Solingen" haben. Mit der technischen Möglichkeit des Internets war es möglich geworden, diese vielen bislang zwischen Buchdeckeln verborgenen Schätze auch anderen Menschen zu zeigen. Es war der Anstoß, "www.solingen-internet.de" zu machen.

 

Deutsche Städtebaukunst
Wirken und Werke deutscher Selbstverwaltung

Bearbeitet und herausgegeben im Auftrage der Stadtverwaltungen und industriellen Körperschaften von
Beigeordneter Stadtbaurat Schmidhäussler, Solingen

 

Deutsche Kunst- und Verlagsanstalt G.m.b.H., Düsseldorf
1929

Druck: Hüpke und Sohn, Hofl., Holzminden a. Weser; diese lieferte auch Bildstöcke

Fotos überwiegend Paul Weyerstahl und Albert Weyersberg, Solingen

Geschwärmt wurde und wird für diese Stadt, über die zu lästern und zu maulen es allen, die sie mögen, eine helle Freude ist. Und noch nie ist ein Gedicht geschrieben worden wie:

Ich steh in Solingen im Stau,
mal wieder ist es regengrau,
die Ampeln wieder endlos rot,
so schlage ich die Zeit mir tot.

Zu kaufen gibt es eh hier wenig,
von wegen: Kunden sei'n beim Kaufen König,
und bummeln und in Kneipen gehn
ist sowieso woanders schön.

Die Häuser, eins gleicht bald dem anderen,
da bleibt nur noch, ins Grün zu wandern,
und willst du einmal schnell verreisen,
kein Zug zeigt sich auf leeren Gleisen.

Genörgel nur, Gezeter, Maulen,
die Jungen tuns, erst recht "de Aulen",
da sag ich mir doch ziemlich barsch,
Ach Solig, l.m.d.a.A.

Nein, ein solches Gedicht ist noch nie geschrieben worden. Ich weiß auch gar nicht, wie es hier hin kommt.
(l.m.d.a.A.: lieber meckern denn auf'm Abmarsch)

 

Wald ist nebst Solingen eine alte Gründung. Ebenso wie ein Gut Solagon 965 vom Kölner Erzbischof Bruno, Bruder des Kaisers Otto des Großen, an die Abtei St. Martin in Köln geschenkt wurde, so war Wald mit seiner Kirche 1135 der Abtei Deutz geschenkt, von Bischof Bruno II, Sohn des Grafen Adolf I von Berg.

Der Walder Kirchturm ist weithin sichtbare Orientierung und Kistallisationskern des Dorfes Wald, es "kuschelt" sich um die Kirche. Zeichnung aus dem Jahre 1892.


 

Sind eiserne Züge schlauer als beamtische Organisatoren, vernarrte Kommunalpolitiker und eifernde Journalisten? Aber sicher, ganz klar. Solingen war seit seiner Gründung Köln aufs Engste verbunden. Nicht Düsseldorf, der nachmaligen, vor allem durch Preußen so gewollter Vormundsort von Solingen. Intensiv wird geklagt, die Regionalbahnverbindung von Solingen nach Düsseldorf klappe nicht, wegen klapperalter Wagen und häufiger Verspätungen. Was wunder? Was wollen die Züge auch in Düsseldorf. Würde man sie nach Köln fahren lassen, wäre alles auf dem rechten Gleis. Aber die Abzweigung der Solingen—Ohligser Strecke ist ja nie gebaut worden, und nun rächt sich der Dampf- und Dieselgeist eben an solch unterlassenem Tun. Mein Vorschlag: vergesst Düsseldorf, macht Köln zur Bergischen Landeshauptstadt - und alles wird gut. Vergesst aber nicht, die alte Korkenzieherbahn nach Wald und Gräfrath wieder mit Gleisen zu belegen und dort Expresszüge fahren zu lassen. Es hätte so manchen Vorteil.

Auch ein Solinger Gründungskern, das Kloster in Gräfrath. Das Portal der Kirche stammt aus dem 13. Jahrhundert.

 

 

Mit solch prächtigen Urkunden und beeindruckenden Siegeln wurden früher Privilegien verliehen, wie hier das der Kreuz- und Knaufschmiede vom 10. Oktober 1623.

(Kreuz und Knauf sind die Querstange und der Griff der Hieb- und Stichwaffen nebst allen Verzierungen.)

Solingen lebte nicht nur vom "Kerngeschäft", der Schwert- und Messermacherei, sondern auch von der "Infrastruktur". So waren etliche Fuhrunternehmen permanent damit beschäftigt, die Waren beispielsweise vom Bergischen Hafen Hitdorf am Rhein zu holen und zur Versendung dorthin zu bringen oder in Kontakten mit anderen Regionen - vor allem dem Siegerland - Kohle und Erz heranzuschaffen. Das Bild zeigt das Packhaus der Firma Peter Hendrichs & Grah im Jahr 1851.

Eine eindrucksvolle "Ahnentafel" Solinger Messer- und Klingenkaufleute und -fabrikaten.

Linke Reihe:
Carl Schimmelbusch, 1777-1839
Abraham Grah, 1777-1862

Mitte:
Peter Arnold Mumm, 1733-1797 (Klingen- und Weinhandel)
Joh. Abraham Knecht, 1741-1797
Joh. Abr. Henckels d.J., 1813-1870

Rechte Reihe:
Philipp Jakob Schnitzer, 1759-1811
Gustav Weyersberg, 1798-1865

 

 

Wie sprunghaft die Stadt innerhalb drei, vier Generationen gewachsen ist, zeigen diese Zahlen. Von insgesamt ca. 25 tausend auf rund 125 tausend nach Ende des 1. Weltkrieges, also 5 mal so viel. Heute hat Solingen um die 160 tausend Bewohner.

 

Die daraus resultierenden infrastrukturellen Anforderungen an eine Stadt wären aufgrund einengender Gesetze und Klagemöglichkeiten unabsehbarer Dauer schlichtweg nicht mehr zu bewerkstelligen. Um so mehr Hochachtung vor all den Leuten, die diese Explosion gemeistert haben.

 

In dieses Bild kann man mit seiner Phantasie geradezu eintauchen und auf dem Marktplatz von 1870 spazieren gehen. Rudolf Haag hat es gemalt.