Solinger Stahlwaren

ebay ist heute ,vox populi', des Volkes Stimme. Und nicht selten liest man bei ebay, irgendetwas sei "von der Firma Solingen" hergestellt. In der Tat, für Solinger unbegreiflich ist, dass nicht selten (auch schon in Deutschland) Solingen nicht als Stadt, sondern als Firma wahrgenommen wird. Dies ist eigentlich im Zeitalter des globalen Markenbewusstseins ein Kompliment, auch wenn Solinger Firmen natürlich an erster Stelle ihr eigenes Markenzeichen sehen und das Solingen-Logo als sekundär (wie ein Güte- oder Prüfsiegel) einsetzen.

 

 

Dieser Schriftzug wurde kurz vor der 600-Jahr-Feier (1974)  von Fritz Odenthal, einem Grafiker und Leiter der Abteilung Druck an der damaligen städtischen Berufsschule, entworfen. Das Logo sollte nur für Produkte verwendet werden, die tatsächlich im Wirtschaftskreis Solingen hergestellt werden.

Zuvor war zwar der Begriff Solingen schon weltberühmt, aber jedes Unternehmen warb auf seine eigene Art und Weise damit.

So bescheiden war man 1950. Für weite Teile der Bevölkerung war Armut und Verlust oft des gesamten Besitztums bittere Realität. Maniküretuis galten als absoluter Luxus, die aus Solingen allemal. Noch gab es keine billige Fernostware, keine Imitate. Sich Solinger Qualität leisten zu können war Statussymbol einer bürgerlichen Welt, die wieder anfing, sich Hoffnung zu machen.

Rich · Abr · Herder · Solingen  ·  Seit 1884

aus einem Prospekt der Wt. Pobell KG, Krefeld
Entwurf Tinne Niggemann, Leverkusen
Druck Nöthen u. Höttges, Krefeld
Spiralbindung Carl Berberich, Heilbronn
Einband-Kaschierung  Achilles
Klischés Thomas und Kurzberg, Bielefel

- alles nur "erste Namen"

 

Eine Firma, die an Friseurgroßhandlungen lieferte und in Solingen auf der Blumenstraße 91 eine Fabrikation hatte.

Der Katalog (hier ein Teil der Titelseite) hat in seiner Gesamtgetaltung durchaus Anklänge an den Bauhaus-Stil. Die dieser Kunstrichtung entsprechende Typographie wurde vor allem durch Kurt Schwitters (Hannover) bekannt.

Gestalter und Druckerei nicht angegeben
Gültigkeitsjahr des Kataloges 1930

 

 

Eine Eigenwerbung des Multitalents Kurt Schwitters

Es ist immer wieder faszinierend, in wie viele Varianten sich ein Sortiment verlieren konnte. Der damit verbundene Organisations- und Logistikaufwand ist heute kaum noch abzuschätzen. Und man kann nur noch staunend hinzufügen: Und das alles ohne Computer.

Die Druckindustrie war durchaus direkter Nutzer der Vielfalt; nicht nur, indem sie "jede Menge" Kataloge und Preislisten zu drucken hatte, sondern vor allem auch Karteikarten und Organisationsmittel in Hülle und Fülle.

Rasiermesser machen alleine in diesem Katalog mehrere Seiten aus.

 

 

Die heute so beliebten "Sets" gab es auch schon damals - heute wie einst auch in Lederkoffern. So gesehen hat sich seit 70, 80 und mehr Jahren manches, aber eben nicht alles in der Stahlwarenindustrie Solingens und ihren Angeboten geändert. Auch diese Sortimente werden damals die gleiche Faszination auf die Käufer ausgeübt haben wie sie es noch heute tun.

Hier Koffersets für professionelle Maniküre und Pediküre - also das, was die Fußpfleger so brauch(t)en, die einst und immer noch gerne ins Haus bestellt wurden und werden.

 

 

Take a closer look

Ein solcher Koffer könnte auch heute noch voll und ganz seinen Nutzen erweisen.

 

Ein "Festbraten" für einen Schriftsetzer, sich in dieser Vielfalt "austoben" zu dürfen.

Dennoch sieht man dem Entwurf deutlich an, dass er aus einer Zwischenperiode stammt: Fläche und Schmuckelemente, auch der Umgang mit der Farbe, sind sehr stark vom Bauhaus-Stil (Gründer Gropius 1919, Übersiedlung nach Dessau 1925; Ende des Bauhauses 1933) beeinflusst, der Umgang mit der Schrift (Mikrotypografie) ist jedoch noch sehr konservativ bzw. den Alltags-Gewohnheiten der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts angepasst.

Druckerei: Schreiber & Fey, Foche-Solingen

geschätzt um 1928/30

 

Diese Seite - sie stammt aus dem gleichen Druckbogen - hat schon wesentlich bessere und klarere Typografie im Detail.

Zwei kleine Details zeigen, dass die Setzer bei Schreiber & Fey (ach, welch ein Zufall, in diesem Betrieb habe ich meine Zwischenprüfung in der Setzerlehre gemacht, das durfte man nicht im Lehrbetrieb) wirklich mit Schrift umgehen konnten:

Völlig korrekt wurde zum Ausgleichen der Zeile (sog. Blocksatz) der Wortzwischenraum hinter dem Satzpunkt größer gemacht, damit die anderen Wortzwischenräume beim harmonischen Drittelgeviert bleiben konnten.

Und man kannte noch den lesefreundlichen (Viertelgeviert-) Abstand vor dem Semikolon.

Bei so viel Liebe zum Detail hätte man eigentlich dieses in Versalien gesetzte Wort ausgleichen müssen (Abb. in Originalgröße). Aber gescheitert ist es an der Tücke des Objekts. Der Buchstabe T hat einen sog. "Überhänger", das heisst sein eigentlicher Kegel ist schmaler als die obere Querausladung, so dass er leicht auf der Schulter des nächsten Bleibuchstabens A aufliegt; beide sind gewissermaßen leicht verschränkt. Doch das S ist in dieser Schrift seitens der Gießerei schlecht geschnitten und bildet einen Abstand zum T, der - das unterstelle ich - nicht durch Einfügen eines Spatiums vom Setzer erzeugt wurde. Und auch sowohl die Buchstabenkombination AM und LA erzeugen zu große Buchstabenabstände, was aber nicht zu vermeiden ist, da es für diese Typen keine Überhänger (wie beim T) gab.
MM'S, INL und ID sind absolut harmonisch (eng, aber korrekt), ST AM LA und auch AI bilden unschöne, jedoch eben nicht vermeidbare "Löcher".

Diesem Dilemma hat man auf einer anderen Druckseite des gleichen Katalogs ausweichen wollen, doch mit zweifelhaftem Erfolg. Denn hier wurde leider ein massiver Fehler gemacht: alle Buchstaben sind gleichmäßig gesperrt, man hätte unterschiedlich sperren müssen, im Fachjargon "ausgleichen" genannt (und was bei der Kombination TA auch tatsächlich geschehen ist; LA ist jedoch katastrophal, AM haarscharf an der Grenze, aber eigentlich auch zu weit).