Und wie die Waren von und zu den Kotten kamen, verraten die Liewerfrauen:



 

Kotten

Die Kotten von Solingen haben die gleiche Bedeutung wie die Kirchen von Rom. Beide geben der Stadt Sinn und Gepräge. Beide stehen im Mittelpunkt des Alltagslebens. In der Legendenbildung - dem Zerrbild der Realität - sind sie von entscheidender Bedeutung. Man erklärte sie zu Kultstätten. Sie sind vielfältig, die Kirchen wie die Kotten. Vor allem die Männer haben darin das Sagen. In den Kotten und Kirchen. Sie sahen von außen oft schmuck aus, innen roch es. Sie waren im Winter kalt und feucht, die Kotten und die Kirchen. Es brannte ewiges Licht, hier vor den Altären, dort zum Kaffee kochen, Piepe anzünden oder Öl erwärmen. Die Kirchen hatten ihre Brunnen, die Kotten ihre Wassergräben und Wasserräder. Wer in ihnen arbeiten wollte, musste eine Art Weihe hinter sich haben und einer Kaste angehören, die einen hießen Priester, die anderen zum Beispiel Pliester. Im Kotten wurde viel getrunken - in Rom auch. Das ist ja nun wirklich ein dicker Hund.

Alles, was der Mensch über Solinger Kotten weiß, gibt es in zwei Solinger Internet-Adressen: Michael Tettinger ...

... und mit einer schier überbordenden Fülle an Details bei Marina Alice Mutz. Eine Wahnsinns-Arbeit (im positiven Sinne gesprochen) - unglaublich interessant, und deshalb unbedingt empfohlen.

 

 

Fleuß und Fleiß

Wo ein Bach auch nur ein wenige Fließkraft entwickelt, da ist bald ein Kotten gebaut. 8 Bäche plus die Wupper schaffen es, Solingen zum Zentrum der Besteck- und Messerindustrie zu machen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heinz Rosenthal: Geschichte einer Stadt; Solingen
Walter Braun Verlag, Duisburg, 1973

 

 

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Ob es denn immer die pure Romantik und das reinste Vergnügen war, in solche Kotten wie diesem zu arbeiten, mag dahingestellt sein. Auf den idealisierten Zeichnungen sieht die Welt stets heile aus. The daily soap auf Lithos, Postkarten, in Büchern und Erzählungen. Das gabs schon immer, nicht erst seit TV.

 

Krapohl-Verlag, Schloss Hülchrath
 

Was für ein schönes Leben: draußen in freier Natur, am Wasser, am Wald.

Wilh. Fülle, Barmen; geschrieben 16. 1. 1920

Was für ein schönes Leben: Berge rauf und runter, die schweren Stahlwaren im Gepäck.

 

Was wollte wohl der Zeichner mit dem Hund ausdrücken?
Ein Hundeleben, so an der Esse zu stehen, in der Hitze,
im Staub, im Krach, oft in gebückter Haltung, schwere Lasten
schleppend. Ohne rechtes Licht. Und das zehn, zwölf Stunden
am Tag. 6 Tage die Woche. Ohne bezahlten Urlaub.
Ohne Krankenversicherung. Als einziger Schutz die Solidarität
des gesamten Berusstandes.

Die durchschnittliche Lebenserwartung um 1850
lag bei rund 32-35 Jahren. Nimmt es da wunder,
wenn - nach heutigen Begriffen - Kinderarbeit üblich war?
Nur so, wenn man mit 13 oder 14 in die Lehre kam und
bis Anfang 20 das Handwerk wirklich erlernt hatte und
ein bisschen Geld verdienen konnte, hatte man überhaupt
eine reelle Chance, eine Familie zu gründen und wiederum
Kinder einigermaßen "großzuziehen". Gerade in solchen
Schmieden und vor allem den Schleifereien war der Frühe Tod
- Berufskrankheit - geradezu vorprogrammiert.

 

 

Die Herren Schwertmacher.
Ganz offensichtlch die Oberschicht der Arbeiterschicht:

 

 

Aber so stolz und aufrecht man in der Werkstube oben zu stehen vermag, militant sogar, so gebückt mussten die Schwertfeger (die Schwerschleifer) ihre Arbeit verrichten:

alle Zeichnungen: Hermann Würtz, um 1850

 

 

Im Kotten hatte alles seine pragmatische Ordnung - eine durch und durch organisierte und im wahren Sinne des Wortes handliche Werkstatt.

Die westdeutsche Wirtschaft und ihre führenden Münner
Land Nordrhein-Westfalen
Teil IV Bergisches Land (2. Band)
Wirtschaftslesebuch-Verlag Dr. Julius Keil, Oberursel
1982

 

Regen bringt Segen

"Sich regen bringt Segen", heißt ein Sprichwort. Es ist total falsch. In Solingen, im gesamten Bergischen jedenfalls. Total falsch. Dort nämlich muss es heißen: Regen bringt Segen. Will sagen das Wasser, was vom Himmel schüttet, ist die Quelle des Erfolges. Wörtlich zu nehmen.
Ohne Regen keine Bäche,
ohne Bäche keine Stauteich oder Wehre,
ohne Teiche und Wehre keine Wasserräder,
ohne Wasserräder keine Schleifsteine,
ohne Schleifsteine keine Klingenindustrie.
Die wirtschaftliche Entwicklung Solingens durch die Arbeit seiner Menschen und deren einzigartige Produkte war nur möglich, weil es im Bergischen so oft, so viel, so intensiv regnet. Und Wasser zwar manchmal knapp, alles in allem aber keine Mangelware war. Solinger, die über den Regen meckern, sind also schizophren. Ich wette, Sie kennen viele schizophrene Menschen.

 

Max Biegel, Elberfeld, 1904

Der Nöllenhammer, Burgholz; typisch auch für Solinger Kotten in den Bachtälern. Man staute das Wasser, um zu den Arbeitszeiten tagsüber mehr davon zur Verfügung zu haben - also mehr Kraft auf die Transmissionsriemen zu bekommen. Oder um kurze trockeneren Perioden auszugleichen. Ob man sich im Laufe der Jahrzehnte hinter jedem auf- und angeschütteten Deich oder Damm wohl und sicher fühlen konnte, ist eine Ermessensfrage.

Um 1955 drohte der Balkhauser (Doppel-)Kotten zu zerfallen, das abenteuerliche Konstrukt der Fußgängerbrücke könnte jeden Moment einstürzen, die Wupper war eine Giftbrühe: in letzter Sekunde konnte die Wendung geschafft werden: ein Kotten wurde gerettet, restauriert und ist heute ein Museum. Die Wupper ist um Dimensionen klarer und besser geworden. Und wenn auch nicht hier, so will man am Brückenpark Müngsten aber doch wieder eine lustige Fußgängerbrücke schaffen.

 

 

 

 

 

aus: Nordrhein-Westfalen, ein Bildband
Umschau Verlag, Frankfurt a.M.
1955

 

Kottenromantik pur.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Dichter dieser schönen Zeilen wurde bald darauf von Knittel Vers erschlagen.

Im Tal der wunderschönen Itter
da sprach der Fri einst stolz zum Pitter:
"Die beste Ware, merk es Dir,
die kommt aus diesem Kotten hier."
Als das der Fri mit trunknem Schädel
erzählt es dem geliebten Mädel,
und dieses stolz dem Oheim kündet,
da war der Funken angezündet.
Landauf, landab, mit blindem Eifer,
erzürnten sich die andren Schleifer
und wollten bald dem Land beweisen:
WIR schärfen hier die besten Eisen!
Und schliffen Messer ohne Ende,
mit viel Gefühl und sehr behände,
so fein und scharf, dass wer's nicht wusste,
schon bald entsetzlich büßen musste.
Denn jedes Stück aus diesem Zwist,
tat fürchterlich, wie ihr wohl wisst:
Es ließ die Mannen an den Steinen
sich streiten, satt sich zu vereinen.
Es schnitt das Band der Kumpanei
bald ein für allemal entzwei.
Seitdem weiß jeder über Messer
weit mehr als andre und viel besser.
Drum frage nie ein Fremder frei,
was wohl die beste Marke sei.
Man hat es nie herausgefunden,
und manche sagen unumwunden,
ein Messer aus der Klingenstadt
wär immer gut, vorausgesetzt,
dass man es immer richtig wetzt.
Drum setzt man, wie ein jeder weiß,
zu Anfang einen hohen Preis,
damit man's nach dem teuren Kauf,
bewahrt in der Schatulle auf.
So bleibt es als ein Sammlerstück
der nächsten Generation zurück.
Bekommst Du aber eins geschenkt,
dann sei darüber nicht gekränkt,
dass man dafür stets Geld verlangt,
weil, wer sich nur bedankt,
das Band der Freundschaft ewig schneidet
die daraufhin stets Schaden leidet.
Das kommt davon, wenn man allein
will stets der allerbeste sein.
 

Bei den Wasserrädern unterscheidet man oberschlächtige (so wie hier, das Wasser kommt von oben in Taschen geschüttet) und unterschlächtige (wie ein Schaufelraddampfer). Und bei den oberschlächtigen bergdrehende (so wie hier, das Rad dreht in dieser Perspektive gesehen entgegen Uhrzeigersinn, zum "Berg" sprich Herkunft des Baches hin) ...

Ölmühle bei Hasenmühle

aus: Solingen und sein Industriebezirk, 1922

 

... und taldrehende.

Pilghauser Kotten