Kotten 6

Nichts ist schöner als ein Klischee, ein Vorurteil, eine festgelegte Rollenverteilung. Während der Mann, so fast alle Schilderungen Solinger Arbeitshistorie, in den Kotten oder die Fabrik zum Arbeiten ging, diente die Frau als Botin ("Lewerfrau"), versorgte im heimischen Fachwerkhaus Herd, Hof und Hund, bekam nebenbei ein paar Kinder und war ansonsten fotogene Staffage beim offiziellen Familienalbum. Die Wirklichkeit war völlig anders, und wiederum doch nicht. Es gab sie sehr wohl, die Frau des Klischeebildes (jeder mag spekulieren, in welchem Maße), aber Frauen "in der Produktion" waren zumal im industriellen Solingen ein ungemein wichtiger Faktor. Und einige von diesen Frauen arbeiteten (erfolgreich) in den so genannten Männerdomänen, im Kotten. Ob sie gleich viel legendär gesoffen haben wie die Kerle, entzieht sich aus Respekt jeder Spekulation.

 

Landschaftsverband Rheinland
Rheinisches Industriemuseum
Beiträge zur Industrie- und Sozialgeschichte Band 6
Rheinland-Verlag, Köln, 1996
Autorin: Karin Weingartz-Perschel
Redaktion: Milena Karabaic, Jochen Putsch
ISBN 3-7927-1556-2

 

Leider werden, fast wie bei Berichten über kriminelle Delikte, die Frauen zu einem abgekürzten Anfangsbuchstaben anonymisiert. Schade, denn jede von ihnen hat eine Gesichte zu erzählen, hinter der sich keiner verstecken muss.

 

Elfriede B. im eigenen Kotten 1962

Früher hieß es: "Wenn man mal nicht weiter weiß, macht man einen Arbeitskreis". Heute: "Ist Interesse erst geweckt, macht man daraus ein Projekt". Folglich traf sich ein Arbeitskreis zu einem Projekt und protokollierte Lebensläufe von "Arbeiterinnen" zu einem sehr bemerkenswerten, hoch interessanten und mit Details gespickten Buch. Die Tatsache, dass man die Aussagen teils wortwörtlich übernahm und nicht künstlerisch redigierte, macht das Buch zum Dokument.

Die Scherenausmacherin Gisela N. 1991 am Pließtbock.

Ausmachen ist der Solinger Begriff für das Fertigmachen der Scheren nach dem Schmieden oder Schlagen und Schleifen. Hier wird vor allem gepließt, feingeschliffen.

 

 

 

Christel W. an der Exzenterpresse

Dieses Bild ist einer der vielen Beweise, dass Arbeiten in Solingen alles andere als leicht und angenehm war. Die Arbeitsplätze wirkten bis zuletzt improvisiert, sie waren nicht selten laut, stinkend, gefährlich und unbequem, dunkel oft sowieso, aber eben, vielleicht förderte das ja das Gefühl der Genugtuung, irgendwie ein(e) Arbeitsheld(in) zu sein. Müde jedenfalls war man abends genug, um solches zu empfinden.

 

 

Schwere Körbe voller Stahlwaren vom Kotten zum Fabrikanten und zurück tragen war Aufgabe der Frau, der Lewerfrau. Fragt sich, ob diese Tätigkeit auch nur ein Fitzelchen "leichter" war als die im Kotten, vielleicht so manches Mal (im Winter, bei Regen) eher doch um einiges beschwerlicher. Dennoch, diese Rollenteilung wurde über Jahrhunderte praktiziert, weshalb man schlussfolgern kann, dass sie sich im Prinzip bewährt und als sinnvoll erwiesen hatte. Denn schließlich hat es in Solingen so viele kleine und interne "Revolten" gegen irgendwelche Umstände gegeben, dass es wahrscheinlich gewesen wäre, auch die Frauen hätten rebelliert, wenn ihnen dieser Job unmöglich zu ertragen (im wörtlichen Sinne) erschienen wäre.

 

aus: Rosenthal, Solingen - Geschichte einer Stadt, Band I

Altenhammer im Eschbachtal

aus: Karl vom Berg und Wilh. Fülle: Bergische Fürsten

 

 

Kottenkunst

ad illustratio ibidem

"Solingen-Internet" bat 7 künstlerisch engagierte Frauen, sich mit dem typischen Solinger Kotten gestalterisch auseinander zu setzen. Hier, was dabei herauskam:

 
   

 

 

Helena, 37: "Im Kotten sehe ich Vielfalt und Verschiedenheit. Was ich am besten durch Gefühlsfarben ausdrücken kann."

   

 

 

Andrea, 19: "Das Wasserrad ist für mich der pure Widerspruch. Einerseits ist es Kraft, unbändige Kraft. Und andererseits zerfällt es rasch, weil die Stärke des Holzes nicht geeignet ist, der Weichheit des Wassers zu widerstehen - es löst sich auf. Für mich ist das mehr als Symbol."

   

 

 

Marion, 52: "Kotten, das ist Fleiß. Kotten ist für mich Ruhe und Wiederholung in einem, ein faszinierender Rhythmus, aber auch eine ganze Menge Banalität. Kotten ist irgendwie zwischen Kitsch und Kunst."

   

 

 

Miriam, 21: "Mir sagt die ganze Kottenromantik gar nichts. Ich kann das nicht fassen, das ist wie ein Zerrbild oder eine Fata Morgana. So sehe ich Kotten. Als eine Ahnung. Aber nicht mehr."

   

 

 

Heike,44: "In den Kotten gehören Kerle. Typen. Männer mit Kraft. Ein Kotten ist etwas Rauhes, ein Kampf. Ich glaube, Frauen hätten niemals Fabriken erfunden. Und Frauen wüssten auch nicht, warum man Waffen machen sollte. Kotten ist Männersache."

   

 

 

Erika, 59: "Als Stadtmenschin war und blieb ein Kotten für mich immer ein Ziel eines Spazierganges oder, wie man früher sagte, eines Ausfluges (obwohl wir als Kinder keineswegs auf solche langen bis langweiligen Märsche ,geflogen' sind). Kotten ist dort draußen, weit weg, eben ein Ziel, von dem man sich aber bald wieder heimwärts wendet."

   

 

 

Lucia, 22: "Als angehende Ingenieurin fällt mir auf, dass Wasserräder ein geniales Konstruktionsprinzip sind. Denn sie verwandeln das Wirbeln und Wippen des Wassers in stete, ruhige Drehung. Könnte ich in meinem Leben auch irgendwie gebrauchen. Kraft und Ruhe, meine ich. Ich bin mehr das Wasser. Vielleicht bin ich ja eine Wupperhexe, der Gedanke gefällt mir."

Außer Konkurrenz, artist musculinum:

 

 

 

Egbert, 35: "Kotten war einmal. Es ist sinnlos, sich mit dem Verfall zu beschäftigen. Außer, man romantisiert ihn. Aber das ist doch perfide. Und deshalb widme ich dem mit Lust."